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Peter Schütt

Wissensmanagement 2016: Von der Vergangenheit zur kognitiven Zukunft

Peter Schütt von IBM präsentierte eine umfassende Betrachtung des Wissensmanagements von seinen Anfängen bis hin zur kognitiven Ära. Er erläuterte die historische Entwicklung von Peter Druckers Knowledge Worker-Konzept über die verschiedenen Schulen des Wissensmanagements bis hin zu aktuellen Herausforderungen durch Datenexplosion und die Rolle kognitiver Systeme als Assistenztechnologien.


Hauptthemen des Beitrags:

  1. Begriffsverwirrung und verschiedene Schulen des Wissensmanagements
  2. Historische Entwicklung von Scientific Management bis Cognitive Computing
  3. Das 3D-Wissensmanagement-Modell: Organisation, Prozesse und IT
  4. Vom Wissensmanagement über Social Business zur kognitiven Ära
  5. Cognitive Computing als Augmented Intelligence

Begriffsverwirrung und verschiedene Schulen des Wissensmanagements

Die zentrale Herausforderung im Wissensmanagement liegt in der grundlegenden Begriffsverwirrung. Peter Schütt betonte: "Es gibt da eine ganz klare Wortverwirrung. Das ist bedauerlich, aber es ist so." Diese Verwirrung zeigt sich bereits in den unterschiedlichen Wikipedia-Definitionen verschiedener Sprachen, wo "die Überlappung der einzelnen Erklärungen in den einzelnen Sprachen relativ gering ist."

Es existieren zwei grundlegend verschiedene Sichtweisen:

  • Systemische Schule: Vertreter wie Gilbert Probst und Klaus North verstehen Wissensmanagement als prozessorientiertes Datenmanagement mit hierarchischen Strukturen und Top-Down-Training
  • Komplexitätsschule: Vertreter wie Peter Drucker, Larry Prusak und Dave Snowden sehen Wissen als personengebundene Fähigkeit, die nicht direkt manageable ist

Larry Prusak formulierte dies treffend: "You cannot manage knowledge like you cannot manage love patriotism or your children, but you can set up an environment in which it evolves."

Historische Entwicklung von Scientific Management bis Cognitive Computing

Schütt zeichnete eine Timeline der Arbeitsplatzoptimierung nach, die bereits 1900 mit dem Scientific Management begann. Peter Drucker führte 1957 mit "Landmarks of Tomorrow" den Begriff des Knowledge Workers ein, als erstmals Intellektuelle in größerer Zahl in Industrieunternehmen arbeiteten.

Die Entwicklung verlief über mehrere Phasen:

  • 1950er Jahre: Teamarbeit und Produktivitätsfokus
  • Ende 1980er: Intellectual Capital Management (Sveiby, Edvinsson)
  • 1990er Jahre: Wissensmanagement-Boom durch Nonaka, Stewart und Davenport/Prusak
  • 2000er Jahre: Web 2.0 und Social Business
  • Heute: Cognitive Computing und Augmented Intelligence

Ein entscheidender Wendepunkt war die Einführung von Laptops Mitte der 1990er Jahre bei Beratungsunternehmen, die das traditionelle Freitags-Mittagessen als Wissensaustausch-Forum eliminierte und zur Entwicklung von "Wissensdatenbanken" führte.

Das 3D-Wissensmanagement-Modell: Organisation, Prozesse und IT

Schütt stellte sein 2003 veröffentlichtes 3D-Modell vor, das drei gleichwertige Dimensionen umfasst:

  • Organisation und Kultur: Oft vernachlässigt, aber entscheidend für den Erfolg
  • Prozesse: Häufig der eigentliche Grund für Projektversagen
  • IT: Meist überbewertet in der Projektpraxis

Bei einer Live-Umfrage stimmten 96% der Teilnehmer dafür, dass Organisation und Kultur am häufigsten vernachlässigt werden. Schütt widersprach teilweise: "Es ist schon so, dass es viel mit Organisation und Kultur zu tun hat, das gilt aber auch oft als Entschuldigung, wenn es nicht funktioniert hat. Und der Grund ist aus meiner Sicht dann in der Regel, dass man die Prozesse vernachlässigt hat."

Seine zentrale These: "Wenn man die Prozesse einfach so lässt, wie sie vor dem Projekt waren, und die nicht berührt, dann kann man so viele Tools zur Verfügung stellen und so viel von HR aus Adoption-Kurse anbieten etc., wenn man nicht bereit ist, an die Prozesse heranzugehen, wird das Projekt scheitern."

Vom Wissensmanagement über Social Business zur kognitiven Ära

Das klassische Wissensmanagement der 1990er Jahre scheiterte weitgehend an seinem dokumentenzentrierten Ansatz mit Freigabeprozessen. Ein BMW-Wissensmanager sagte 2003 exemplarisch: "Herr Schütt, wir haben jetzt alles probiert mit Wissensmanagement, es geht nicht, wir hören jetzt auf damit."

Web 2.0 und Social Business brachten einen Paradigmenwechsel:

  • Unstrukturierte Datenablage statt Taxonomien
  • Bottom-up-Prozesse statt Top-down-Kontrolle
  • Kontrolle beim Leser statt beim Autor
  • Explosion der verfügbaren Informationen

Diese Entwicklung führte jedoch zu neuen Herausforderungen: "Wir ertrinken in Informationen, aber uns dürstet nach Wissen" (John Naisbitt). Der Heuhaufen wurde riesig, aber die Nadel ist immer noch schwer zu finden.

Cognitive Computing als Augmented Intelligence

Die Lösung sieht Schütt in kognitiven Systemen als Assistenztechnologien. Am Beispiel der Krebsforschung zum P53-Protein illustrierte er das Problem: "Da gibt es typischerweise eine große Erkenntnis zu, einmal im Jahr... Es kommen im Jahr etwa 5000 Dokumente, Papiere, Veröffentlichungen dazu raus. Wenn ich jeden Tag eine schaffe zu lesen, sind es nur so ganz grob so 300 im Jahr."

IBMs Watson-System kann diese 5000 Dokumente in Sekunden verarbeiten und Forschern eine reduzierte Sichtweise auf das Wichtigste geben. Ein amerikanisches Institut erzielte damit "sechs Discoveries in wenigen Wochen... statt in Jahren."

Cognitive Computing zeichnet sich durch drei Kernelemente aus:

  • Sprachverständnis: Kontextuelle Interpretation natürlicher Sprache
  • Hypothesenbildung: Menschenähnliche Denkprozesse mit Wahrscheinlichkeitsaussagen
  • Maschinelles Lernen: Verbesserung durch Feedback

Schütt betonte: "Wir werden den Mensch kaum ersetzen... Das wird so ähnlich sein" wie bei historischen Technologiesprüngen von Pferdekutschen zu Automobilen.

Fazit

Peter Schütt zeichnete die Entwicklung des Wissensmanagements als kontinuierlichen Prozess der Arbeitsplatzoptimierung nach, der sich von mechanistischen zu komplexeren Ansätzen entwickelt hat. Die zentrale Konstante bleibt "die Optimierung des Arbeitsplatzes", auch wenn sich die Begriffe und Methoden wandeln.

Wichtige offene Fragen betreffen ethische und juristische Aspekte kognitiver Systeme sowie Datenschutzfragen. Schütt warnte vor der "German Angst" vor Datennutzung: "ohne dedizierte Daten aus dem Unternehmen, nur mit dem allgemeinen Wissen aus dem Internet, ist natürlich ein solches kognitives System letztendlich dumm, was die Unternehmensprozesse angeht."

Handlungsempfehlungen:

  • Führungskräfte bleiben auch in der kognitiven Ära verantwortlich für Wissen und Lernen im Unternehmen
  • Unternehmen müssen eine Balance zwischen Datenschutz und Systemeffektivität finden
  • Die Adoption kognitiver Systeme wird einfacher als bei Social Business, ähnlich der Gewöhnung an Navigationssysteme
  • Prozessveränderungen bleiben der kritische Erfolgsfaktor bei der Einführung neuer Wissenssysteme

Der Arbeitskreis Wissensmanagement der Bitkom wurde 2015 beendet und durch den Arbeitskreis Cognitive Computing ersetzt, der sich den neuen Herausforderungen dieser Technologie widmet.