Werner Sauter, Jochen Robes, Daniel Stoller-Schai
Paneldiskussion: 20 Jahre Wissensmanagement und Lernen in Organisationen - Wo stehen wir heute und wohin geht die Reise?
Diese Paneldiskussion auf dem Corporate Learning Camp 2016 brachte drei renommierte Experten zusammen, um die Entwicklung des Corporate Learning in den letzten 20 Jahren zu reflektieren und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Werner Sauter, Daniel Stoller-Schai und Jochen Robes diskutierten unter der Moderation von Simon Dückert sowohl die historische Entwicklung als auch aktuelle Herausforderungen und Zukunftstrends im Bereich des organisationalen Lernens.
- Referent:innen: Werner Sauter, Jochen Robes, Daniel Stoller-Schai
- Aufzeichnung: Video
- Transkript: txt
Hauptthemen des Beitrags:
- Historische Entwicklung des Corporate Learning (1990er Jahre bis heute)
- Aktuelle Herausforderungen und Status Quo in L&D-Abteilungen
- Selbstverantwortliches Lernen und die Rolle der Führung
- Digital Divide und Technologieakzeptanz
- Zukunftstrends und Wünsche für Corporate Learning
Historische Entwicklung des Corporate Learning (1990er Jahre bis heute)
Die Paneldiskussion begann mit einer Reflexion über die Anfänge des digitalen Lernens in den frühen 1990er Jahren. Jochen Robes beschrieb diese Zeit als Phase des Experimentierens mit vielen Grundsatzfragen: "Taugt das überhaupt etwas, dieses Lernen am Computer, mit dem Computer?" Die frühen Jahre waren geprägt von Bildplatten, Lernstationen und Menschen, die zu speziellen Rechnern gingen, um dort zu lernen.
Daniel Stoller-Schai ergänzte die Perspektive aus der Schweiz, wo an der Universität St. Gallen bereits in den 1990er Jahren ein Kompetenzzentrum "Knowledge Networks" aufgebaut wurde. Parallel dazu entstanden erste E-Learning-Projekte mit Unternehmen wie Swisscom. Bei der Firma Fonac, einem Schweizer Hörgerätehersteller, durfte er live miterleben, wie Knowledge Management-Pioniere wie Nonaka, Takeuchi und Von Krogh ihre Konzepte entwickelten.
Werner Sauter berichtete von seinem ersten Web-Based Training für die Bankakademie im Jahr 1994: "Wir waren damals in dem naiven Glauben, wir können die Motivation der Lerner dadurch steigern, dass wir jetzt solch eine Umgebung schaffen, ähnlich wie bei Asterix mit einem Dorf und dann in spielerischer Form hier Wissen vermitteln." Die Ernüchterung kam schnell - die Lernprogramme mussten viel nüchterner, klarer und zielorientierter gestaltet werden.
Ein wichtiger Wendepunkt kam um 2005, als soziale Netzwerke präsenter wurden und die Frage aufkam: "Was könnte eigentlich hinter E-Learning noch mehr stecken?" Die kommunikativen und interaktiven Funktionen gewannen an Bedeutung. Gleichzeitig begann Werner Sauter seine Zusammenarbeit mit John Erpenbeck und entwickelte den Fokus auf Kompetenzentwicklung statt reiner Wissensvermittlung.
Aktuelle Herausforderungen und Status Quo in L&D-Abteilungen
Die Diskussion über den aktuellen Status Quo in Learning & Development-Abteilungen offenbarte eine sehr heterogene Landschaft. Werner Sauter stellte fest: "Da gibt es keine eindeutige Antwort. Man findet alles. Man findet nach wie vor Systeme oder jetzt Personalentwicklungsabteilungen, die noch so arbeiten wie vor 30, 40 Jahren."
Daniel Stoller-Schai beobachtete eine problematische Trennung zwischen klassischen L&D-Fachleuten und E-Learning-Spezialisten: "Ich erlebe immer noch eine ziemlich starke Trennung zwischen den klassischen L&D-Fachleuten und den E-Learning-Fachleuten. Also auch abteilungsmäßig, es gibt eine E-Learning-Abteilung und es gibt eine L&D-Abteilung."
Ein weiteres Problem sei die mangelnde Integration mit HR: "HR hat sehr oft gar nichts zu tun mit dem Thema Lernen, sondern die verwalten die HR-Prozesse, entwickeln sich dort in Richtung E-HR."
Jochen Robes wies auf die Komplexität der modernen Lernlandschaft hin: "Die Welt ist auch mit der Akzeptanz von E-Learning nicht einfacher geworden." Massive Open Online Courses, Video-Tutorials und soziale Netzwerke haben die Lernorte vervielfacht und neue Herausforderungen für die Integration geschaffen.
Selbstverantwortliches Lernen und die Rolle der Führung
Ein zentrales Thema der Diskussion war die Frage nach selbstverantwortlichem Lernen. Eine Teilnehmerin aus dem Chat fragte: "E-Learning ist untrennbar mit Selbstverantwortung für den eigenen Lernprozess verbunden. Das macht Schwierigkeiten, weil nicht geübt, sondern abtrainiert. Welche Arten und wie erreichen wir diese Selbstverantwortung?"
Werner Sauter sah die Lösung in einer grundlegenden Umstellung der Lernkonzeption: "Ich glaube, dass man aus dieser Fragestellung dadurch herauskommt, dass man die Thematik auf den Kopf stellt und am Anfang des Lernprozesses die Problemstellungen am Arbeitsplatz stehen." Wenn Lernsysteme es Mitarbeitern ermöglichen, dann zu lernen, wenn sie eine Problemstellung lösen müssen, entstehe automatisch die nötige Motivation.
Diese Ermöglichungsdidaktik erfordert jedoch eine Veränderung des Führungssystems. Führungskräfte müssen zu "Ermöglichungspartnern" oder "Lernpartnern" werden, die ihre Mitarbeiter bei der Entwicklung begleiten, anstatt Anweisungen zu geben.
Jochen Robes betonte die Notwendigkeit selbstorganisierten Arbeitens als Voraussetzung: "Das selbstorganisierte Lernen setzt natürlich auch ein selbstorganisiertes Arbeiten voraus. Also wenn das nicht da ist, dann wird es auch schwer mit dem selbstorganisierten Lernen."
Digital Divide und Technologieakzeptanz
Die Frage nach der Kluft zwischen technikaffinen und weniger technikaffinen Menschen wurde intensiv diskutiert. Simon Dückert verwies auf die Social Media-Forschung: "Der größte Einflussfaktor ist eigentlich die Peer Group." Das Alter sei weniger entscheidend als oft angenommen - sobald ein Bedarf entstehe (wie die Enkelin, die nach Australien geht), würden auch ältere Menschen schnell digitale Tools nutzen.
Werner Sauter bestätigte: "Die Frage, ob ich solche innovativen Lernsysteme, digitalisierten Lernsysteme, jemandem in Anführungsstrichen zumuten kann, hat primär mit seinem sonstigen Medienverhalten zu tun und nicht primär mit seinem Alter."
Seine Empfehlung war pragmatisch: "Man muss es einfach tun." Lernarrangements sollten angeboten werden, bei weniger medienaffinen Mitarbeitern mit gezielter Begleitung, aber letztendlich könne Medienkompetenz nur durch die Nutzung der Medien selbst aufgebaut werden.
Daniel Stoller-Schai schlug Reverse Mentoring vor: "Jüngere bringen auch älteren Führungskräften bei, wie sie mit Social Media oder mit Tablets oder anderen Dingen umgehen können."
Zukunftstrends und Wünsche für Corporate Learning
In der abschließenden Runde identifizierten die Experten mehrere wichtige Zukunftstrends:
- Soziales und kollaboratives Lernen: Daniel Stoller-Schai sah hier noch großes ungenutztes Potenzial und betonte die Bedeutung von Recommendation Bots und personalisiertem, adaptivem Lernen.
- Verschmelzung von Lernen und Arbeiten: Werner Sauter schlug vor, den Begriff "Lernen" möglicherweise ganz aufzugeben, da er zu sehr mit fremdgesteuerten Lernroutinen verbunden sei. Er prognostizierte den Einsatz humanoider Computer, die nicht nur recherchieren und analysieren, sondern auch emotionale Aspekte bei Entscheidungen berücksichtigen können.
- Neue Technologien und ethische Fragen: Jochen Robes wies darauf hin, dass zukünftige Empfehlungssysteme von großen Plattformen wie Facebook, LinkedIn oder Google betrieben werden könnten, was neue ethische Fragen aufwerfe.
- Trennung von Compliance und Innovation: Ein diskutierter Ansatz war die Aufteilung der Weiterbildung in Compliance-Kurse einerseits und innovative, arbeitsplatznahe Lernformen andererseits.
Fazit
Die Paneldiskussion zeigte deutlich, dass Corporate Learning nach 20 Jahren digitaler Entwicklung an einem Wendepunkt steht. Während die technischen Möglichkeiten exponentiell gewachsen sind, hinken organisationale Strukturen und Lernkulturen oft noch hinterher. Die Experten betonten die Notwendigkeit einer stärkeren Integration von Lernen und Arbeiten, einer Neuausrichtung der Führungsrollen und einer mutigeren Experimentierfreude in den Organisationen.
Zentrale Handlungsempfehlungen aus der Diskussion:
- Lernsysteme sollten von Problemstellungen am Arbeitsplatz ausgehen, nicht von Curricula
- Führungskräfte müssen zu Lernbegleitern und Ermöglichungspartnern werden
- Die Trennung zwischen E-Learning und klassischem L&D sollte überwunden werden
- Mehr Mut zum Experimentieren und Ausprobieren neuer Lernformen ist nötig
- Informelles Lernen braucht größere Wertschätzung in den Organisationen
- Die Integration verschiedener Zielgruppen, auch gewerblicher Mitarbeiter ohne PC-Arbeitsplatz, sollte verstärkt werden
Die Teilnehmer wünschten sich für die Zukunft mehr echtes Interesse am Lernen, größere Investitionsbereitschaft der Unternehmen und eine stärkere Fokussierung auf den Menschen als Lerner. Das Corporate Learning Camp wurde als wichtiges Format für den kontinuierlichen Austausch und die Weiterentwicklung der Community gewürdigt.