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Kai Romhardt

Die geistige Dimension des Wissensmanagements

Kai Romhardt reflektiert seine 20-jährige Reise im Wissensmanagement und zeigt auf, wie Achtsamkeit und Meditation neue Dimensionen für die Wissensarbeit eröffnen. Von den Anfängen des Wissensmanagements über persönliche Krisen bis hin zur Integration buddhistischer Achtsamkeitspraktiken in moderne Organisationen - ein Plädoyer für bewusstere und sinnvollere Formen der Wissensarbeit.


Hauptthemen des Beitrags:

  1. Die Anfänge des Wissensmanagements und die Community der "Knowledge Cowboys"
  2. Vom lebendigen Prozess zum starren Modell - Erfahrungen mit dem Acht-Bausteine-Modell
  3. Achtsamkeit als neue Dimension der Wissensarbeit
  4. Prinzipien achtsamer Wissensarbeit in der Praxis
  5. Das große Wie und Warum - Haltung und Sinn in der Wissensarbeit

Die Anfänge des Wissensmanagements und die Community der "Knowledge Cowboys"

Kai Romhardt begann seine Reise im Wissensmanagement bereits 1994 mit seiner Diplomarbeit zur "Evolution der Lernfähigkeit einer Branche am Beispiel der Automobilindustrie" an der Universität St. Gallen. Diese frühe Phase war geprägt von einem besonderen Aufbruchgeist und einer interdisziplinären Offenheit.

Das Forum für Organisationales Lernen und Wissensmanagement in Genf entstand aus der Zusammenarbeit zwischen Theorie und Praxis. Regelmäßige Treffen bei Großkonzernen wie dem Schweizerischen Bankverein, der Telekom oder Holterbank ermöglichten es, Ideen zu testen und weiterzuentwickeln. Dabei zeigte sich schnell, dass theoretische Konzepte wie "Leitunterscheidungen des Wissens nach Luhmann" in der Praxis nicht anschlussfähig waren.

Die damalige Community entwickelte eine besondere Kultur des Lernens, die sich in den "Regeln für Knowledge Cowboys" widerspiegelte:

  • Am Anfang war das Unwissen - Neugierde und die Fähigkeit, loszulassen
  • Speise ins Wissensnetzwerk ein und stärke so die Wissensgemeinschaft
  • Zolle den Wissensgurus und ihren Buzzwords keinen Respekt
  • Achte auch das Unwissen anderer - fühle dich nicht als Missionar
  • Lasse dir die Welt aus den Augen anderer Knowledge Cowboys erklären
  • Versuche dennoch mit den anderen eine gemeinsame Sprache zu schaffen
  • Akzeptiere widersprüchliche Regeln - es gibt nicht den einen Weg

Diese Zeit war geprägt von einer besonderen Offenheit im Lernen voneinander, ohne Angst vor "Ideenklau". Die Gemeinschaft organisierte Symposien und Treffen, bei denen alle ihre Karten auf den Tisch legten, wissend, dass gemeinsames Lernen alle voranbringt.

Vom lebendigen Prozess zum starren Modell - Erfahrungen mit dem Acht-Bausteine-Modell

Das entwickelte Acht-Bausteine-Modell des Wissensmanagements wurde zu einem großen Erfolg - mit Übersetzungen in mehrere Sprachen und breiter Rezeption. Doch dieser Erfolg brachte unerwartete Herausforderungen mit sich.

Romhardt beschreibt eine persönliche Transformation: "Dann hatte das auch noch Erfolg. Dann war das im Manager-Magazin. Dann wurde das Buch super verkauft." Was zunächst als lebendiger, offener Prozess begonnen hatte, wurde zu einem festen Konzept, das verteidigt werden musste. Er entwickelte eine "Wissensbrille" mit den acht Bausteinen:

  • Wissensziele
  • Wissensbewertung
  • Wissensentwicklung
  • Wissenserwerb
  • Wissensverteilung
  • Wissensbewahrung
  • Wissensnutzung

Diese Brille färbte seine Wahrnehmung: "Ich schaue die Welt an durch diese Brille, durch dieses Konzept." Jede Situation wurde automatisch durch das Modell interpretiert. Das Loslassen des Konzepts nach der Promotion war "tatsächlich eine Erleichterung", da es von einem lebendigen Werkzeug zu einer Belastung geworden war - "die acht Mühlsteine in meinem Kopf".

Achtsamkeit als neue Dimension der Wissensarbeit

Nach einer persönlichen Krise Anfang 30 entdeckte Romhardt die Achtsamkeitspraxis - eine ursprünglich buddhistische Methode der Meditation. Achtsamkeit ist "ein Geisteszustand, den man trainieren kann" und der "alle anderen Elemente meines Geistes und meines Körpers erhellt".

Die praktische Einführung erfolgte durch die "Ali-Übung" mit drei Komponenten:

  • A - Atem: Bewusstes Atmen verankert in der Gegenwart
  • L - Lächeln: Entspannt Gesicht und Körper, ermöglicht entspanntere Wahrnehmung
  • I - Innehalten: Kurze Pause in die Stille

Diese Mini-Meditation wird mit einer Glocke eingeleitet und schafft andere Rahmenbedingungen für Meetings und Zusammenarbeit.

Die zweijährige Ausbildung im Kloster Plum Village in Frankreich lehrte verschiedene Meditationsformen mit dem Ziel, "den ganzen Tag in der Wachheit zu verbringen" - im Single-Tasking-Modus. Diese Praxis führte zu einer fundamentalen Erkenntnis: "Ich habe gemerkt, dass ich überhaupt nicht Herr bin meines Denkens, dass mein Denken total undiszipliniert ist und wie ein wilder Affe hin und her springt."

Prinzipien achtsamer Wissensarbeit in der Praxis

Aus der Achtsamkeitspraxis entwickelten sich konkrete Prinzipien für die Wissensarbeit:

  • Impulsdistanz: Bewusste Wahrnehmung des Impulses zu sprechen, ohne automatisch zu reagieren. "Wenn ich es aber mitbekomme, da ist dieser Impuls zu sprechen und ich kann atmen und merken, dieser Impuls kommt, es fällt mir schwer, nichts zu sagen und dann ist er wieder weg."
  • Tiefes Zuhören: Beim Atem bleiben während des Zuhörens, statt gedanklich die eigene Antwort zu formulieren. Dies verhindert das "sich kreisen um uns selber" und ermöglicht echte Verbindung.
  • Muße: Bewusste Phasen ohne Plan oder Ziel, um aus dem ständigen "Umzudenken" herauszukommen. "Diese Muße ist etwas, was eine ganz große Kraft hat, weil sie unserem Tag Atemzeit gibt."
  • Achtsamkeit auf Körper und Gedanken: Bewusstsein für die vier Grundpositionen (stehen, gehen, sitzen, liegen) und für die eigenen Gedanken als Taten mit Wirkung.

Das Netzwerk Achtsame Wirtschaft praktiziert diese Prinzipien konsequent: Jedes Treffen beginnt mit Meditation, zwischendrin gibt es "Ali"-Pausen, und Formate wie "Mindful Open Space" werden entwickelt.

Das große Wie und Warum - Haltung und Sinn in der Wissensarbeit

Romhardt unterscheidet zwischen dem "großen Wie" und dem "großen Warum":

Das große Wie betrifft die Art und Weise des Handelns: "Wie sitze ich im Meeting? Wie komme ich in den Raum rein? Wie höre ich zu? In welchem Geisteszustand bin ich?" Die Qualität des Geisteszustands - ob ärgerlich, neidisch, angespannt oder gesammelt, freudvoll, mitfühlend - macht "so einen Riesenunterschied" für Kreativität, Lernen und Innovation.

Das große Warum adressiert die Sinnfrage: "Wieso, wofür machen wir das hier alles?" Romhardt warnt vor dem "Wissenssöldner", der beliebige Wissensbasen für den Bestbieter managed, und plädiert für bewusste Entscheidungen: "Wem schenke ich für welche Zwecke mein Wissen?"

Das Buddha-Gleichnis veranschaulicht diese Auswahl: Wie der Buddha nur eine Handvoll Blätter aus dem ganzen Wald auswählte - nämlich jene, die helfen, "friedvoller zu werden, glücklicher zu werden, freier zu werden" - müssen auch Wissensarbeiter bewusst auswählen, welches Wissen sie vermitteln und welche Organisationen sie unterstützen.

Das Netzwerk Achtsame Wirtschaft formulierte ein "Mindful Business Commitment" mit sechs Übungsfeldern, darunter: "In meiner Arbeit übe ich mich darin, einer Arbeit nachzugehen, die für mich Sinn ergibt und Positives in die Welt trägt."

Fazit

Romhardt plädiert für eine Rückbesinnung auf die ursprünglichen Motivationen des Wissensmanagements: "Wir wollten über das Lernen und den Umgang mit Wissen Organisationen schaffen, in denen mehr Freude am Lernen da war. Wo es lebendiger zu ging im Lernen."

Seine zentrale Erkenntnis: "Wissensmanagement besteht aus Nicht-Wissensmanagement-Elementen." Die universellen Herausforderungen - Menschen, die lernen wollen, ineffiziente Meetings, Lernprobleme - bleiben bestehen, unabhängig von Begrifflichkeiten.

Offene Fragen und Reflexionspunkte:

  • Wie können wir verhindern, dass lebendige Konzepte zu starren Modellen werden?
  • Welche Rolle spielt die persönliche Haltung bei der Wissensarbeit?
  • Wie lassen sich meditative Praktiken authentisch in Organisationen integrieren?

Handlungsempfehlungen:

  • Bei realen Problemen ansetzen, die im Alltag Relevanz haben
  • Auf das "Wie" und "Warum" der Wissensarbeit achten, nicht nur auf das "Was"
  • Achtsamkeitspraktiken persönlich üben, bevor sie geteilt werden
  • Lebendige Gemeinschaften schaffen, in denen Freude am Lernen im Vordergrund steht
  • Der eigenen Inspiration und Freude folgen statt starren Konzepten
  • Bewusst auswählen, welche Organisationen und Zwecke unterstützt werden