Eva-Maria Bruch, Martin Kimmich
10 Jahre Wissensmanagement bei Festo
Eva-Maria Bruch und Martin Kimmich teilen ihre Erfahrungen aus über zehn Jahren Wissensmanagement bei Festo, einem Weltmarktführer in der Industrieautomatisierung. Der Vortrag zeigt die Evolution von einem IT-zentrierten Ansatz hin zu einem integrierten Konzept, das Wissens- und Kompetenzmanagement verbindet und dabei sowohl technische Tools als auch kulturelle Aspekte berücksichtigt. Besonders hervorzuheben ist die strategische Verankerung auf Eigentümerebene und die praktische Umsetzung durch Communities, Social Networking und moderne Collaboration-Tools.
- Referent:innen: Eva-Maria Bruch, Martin Kimmich
- Material: Folien
- Aufzeichnung: Video
- Transkript: txt
Hauptthemen des Beitrags:
- Unternehmenskontext und strategische Verankerung von Wissensmanagement bei Festo
- Organisatorische Einbettung und Selbstverständnis des Wissensmanagements
- Konkrete Methoden und Tools im Wissensmanagement-Portfolio
- Historische Entwicklung des Wissensmanagements bei Festo (2004-2016)
- Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Unternehmenskontext und strategische Verankerung von Wissensmanagement bei Festo
Festo ist ein Familienunternehmen im B2B-Bereich der Industrieautomatisierung mit 2,6 Milliarden Euro Umsatz und weltweiter Präsenz. Das Unternehmen ist Weltmarktführer in der industriellen Aus- und Weiterbildung und Innovationsführer in der Industrieautomatisierung. Kunden finden sich in diversen Branchen von Tetrapack über die Deutsche Bahn bis zur Automobilindustrie.
Die strategische Bedeutung des Wissensmanagements wird bereits auf Eigentümerebene verstanden. Ein prägendes Zitat der Eigentümer Dr. Kurzstoll und Dr. Wilfried Stoll verdeutlicht dies: "The key to our future is knowledge in our daily effort to win customers as well as in difficult times your expertise is critical. Your problem solving competence is based on your knowledge and skills." Diese Aussage verbindet Problemlösungsfähigkeit direkt mit Wissen und Kompetenzen.
Die Eigentümer beschäftigen sich bereits seit den 1950er und 1960er Jahren intensiv mit der Frage, wie Organisationen lernen und effizient mit Wissen umgehen können. Für ihre Arbeit wurden sie 2011/2012 mit dem Leonardo Award ausgezeichnet. Diese kulturelle Verankerung auf höchster Ebene schafft positive Rahmenbedingungen für Wissensmanagement-Aktivitäten, ist jedoch kein "Freifahrtschein für jegliche Aktivität im Unternehmen".
Organisatorische Einbettung und Selbstverständnis des Wissensmanagements
Das Wissensmanagement ist organisatorisch im Bereich HR Development angesiedelt, der sowohl deutsche als auch globale HR-Funktionen umfasst. Seit zweieinhalb Jahren sind Wissensmanagement und Kompetenzmanagement organisatorisch verbunden, was die enge Verzahnung beider Disziplinen unterstreicht.
Der HR Development Bereich gliedert sich in mehrere Bereiche:
- Knowledge and Competence Management
- Academy (Learning Infrastruktur)
- Qualifizierung (klassischer Weiterbildungskatalog)
- Organisation und Talent Development (Karriereentwicklung, Leadership Development, Unternehmenskultur)
Das Selbstverständnis des Teams wird klar definiert: "Wir verstehen uns als Unterstützer unserer Mitarbeiter, zum einen in Bezug auf Kompetenzentwicklung, zum anderen aber eben in Bezug auf den richtigen Umgang mit Wissen." Beide Themen gehören untrennbar zusammen - "keine Kompetenz ohne Wissen". Der Fokus liegt auf dem "richtigen Handeln unserer Mitarbeiter in unterschiedlichen Kontexten".
Das Team versteht sich nicht als Manager allen Wissens, sondern als Begleiter und Gestalter von Rahmenbedingungen. Der Ansatz ist sowohl IT- als auch methodisch-personenorientiert ausgerichtet und zielt auf die Entwicklung von Mitarbeitern und Wissen im Unternehmen ab.
Konkrete Methoden und Tools im Wissensmanagement-Portfolio
Die Wissensmanagement-Aktivitäten folgen einer strategischen Landkarte mit dem Langfristziel, "die Verbindung und Vernetzung von Personen, Themen und Prozessen zu unterstützen". Die Maßnahmen gliedern sich in zwei Hauptbereiche: Methoden- und Tool-Portfolio sowie kulturelle Aspekte.
Knowledge Networks und Social Networking: Der Community of Practice Ansatz unterstützt Teams, Bereiche und Experten-Netzwerke beim Wissensaustausch. Dies geschieht durch einen Mix aus Präsenz-Treffen, Collaboration-Tools (Skype, Web-Conferencing, SharePoint) und dem Social Networking Tool "Connect" - dem "Facebook für Festo". Das Tool zeigt, wie Social Media Wissensprozesse unterstützen kann und fördert einen Mindset-Wandel: "ich poste jetzt mal hier eine Frage in meine Community, bekomme da eine Antwort und weiß dann auch, ich identifiziere damit somit den Experten, der mir da auch helfen kann."
WeNet und Corporate Memory: Das globale Intranet WeNet bildet die zentrale Wissensplattform. Corporate Memory fungiert als "Festo Google" - eine neue, umfassende Suchfunktion für das gesamte Unternehmen.
Lessons Learned: Als klassische Wissensmanagement-Methode wird Lessons Learned sowohl durch moderierte Workshops als auch durch die Befähigung der Mitarbeiter zur Selbstanwendung umgesetzt. Ein aktuelles Beispiel ist die Integration in die IT-Projektmanagement-Initiative, wo alle Projektmanager entsprechende Trainings erhalten.
Future Workplace: Die Zusammenführung von Tools, neuen Arbeitsplatzkonzepten und mobilem Arbeiten wird unter dem Aspekt der Digitalisierung betrachtet. Die bevorstehende Einführung von Office 365 wird weitere Veränderungen bringen.
Historische Entwicklung des Wissensmanagements bei Festo (2004-2016)
Phase 1 (2004-2007): Grundsteinlegung In der ersten Betrachtungsphase wuchs Festo stark von etwa 9.000-10.000 auf nahezu 20.000 Mitarbeiter bei gleichzeitig größerer internationaler Präsenz und steigendem Produktportfolio. Es gab ein Vorstandsressort "Informations- und Wissensmanagement", was für 2004 sehr richtungsweisend war.
Mit IBM als Partner wurde eine Strategie entwickelt, die Communities, Intranet, Corporate Directory und theoretische Grundlagen umfasste. Der ganzheitliche Ansatz fokussierte Menschen, Prozesse, Informationstechnik und Organisation.
Phase 2 (2007-2013): Institutionalisierung 2006 wurde ein Competence Center Wissensmanagement in der globalen IT-Organisation etabliert. Kernprojekte waren:
- "My Festo": Aufwertung des Lotus Notes-basierten Intranets mit Personalisierungsfunktionen
- "Fit for Communication": Programm zum Wandel von E-Mail-lastiger zu persönlicher und Online-Kommunikation
Das "Fit for Communication" Programm erwies sich als besonders wertvoll: 18 Monate vor der Wirtschaftskrise 2008 wurden Mitarbeiter in Online-Tools geschult. Als massive Einsparprogramme und Reisebeschränkungen kamen, war die Organisation bereits kompetent im Umgang mit Videokonferenzen und Online-Collaboration. Die Nutzungszahlen stiegen drastisch an.
Ein Knowledge Framework wurde entwickelt, das Kommunikation und Kodifikation als grundlegende Pole definiert und Menschen sowie Prozesse in den Mittelpunkt stellt.
Phase 3 (2013-2014): Globaler Rollout Das globale Intranet WeNet wurde ausgerollt mit Features wie Personalisierung, Single Sign-On und zentralem Zugang. Es integriert lokalen Content für Tochtergesellschaften in Landessprachen.
Phase 4 (ab 2015): Social Intranet Die aktuelle Phase fokussiert die Weiterentwicklung zum Social Intranet, was sowohl funktionale als auch kulturelle Komponenten umfasst. Dabei ist die Vorbildfunktion des Managements von großer Bedeutung, die in einzelnen Bereichen bereits gut funktioniert, in anderen aber noch Entwicklungsbedarf hat.
Aktuelle Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Social Intranet und Mittelmanagement: Das Hauptthema ist die Weiterentwicklung des Social Intranets. Dabei sollen Erkenntnisse aus geschlossenen Communities auf das gesamte Unternehmen übertragen werden. Ein wichtiger Impuls aus der Veranstaltung war, das Mittelmanagement stärker zu fokussieren und "die Lehmschicht anzugehen".
Persönliches Wissensmanagement und Lernlandschaft: Die Verzahnung von Wissens- und Kompetenzmanagement soll die Lernlandschaft der Zukunft anders gestalten. Zentrale Frage ist: "Wie befähigen wir eigentlich unsere Mitarbeiter sich in einem neuen Setting auch zu bewegen?" Dabei wird hinterfragt, ob Befähigung überhaupt nötig ist oder Mitarbeiter bereits genügend Fähigkeiten aus dem privaten Umfeld mitbringen.
Informelles Lernen etablieren: Ein wichtiges Ziel ist es, Prinzipien der Wissensnetzwerke als Lernen in der Organisation zu etablieren. Das erfordert einen Mindset-Wandel: Lernen findet nicht nur in dreitägigen Academy-Seminaren statt, sondern auch im täglichen Austausch mit Kollegen. Dieses Verständnis soll geschaffen und informelles Lernen "salonfähig" gemacht werden.
Organisatorische Herausforderungen: Innerhalb von HR Development entstehen Diskussionen über Zuständigkeiten zwischen Wissensmanagement, Teamentwicklung, Talentmanagement und klassischer Personalentwicklung. Die Frage "ist das jetzt deins oder meins?" führt zu Überlegungen, die Labels möglicherweise aufzugeben und gemeinschaftlich zu arbeiten.
Zukunft der Disziplin: Grundsätzliche Fragen beschäftigen das Team: "Braucht es das Label Wissensmanagement überhaupt noch in der Zukunft?" und "Braucht es dann überhaupt noch Methoden, wenn Maschinen vielleicht tatsächlich dann sozusagen unser Wissen managen in der Zukunft?" Diese Fragen werden vor dem Hintergrund von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz gestellt.
Fazit
Der Vortrag zeigt eindrucksvoll die Evolution des Wissensmanagements bei Festo über mehr als zehn Jahre. Von einem anfänglich IT-zentrierten Ansatz entwickelte sich ein ganzheitliches Konzept, das technische Tools mit kulturellen Aspekten und Kompetenzentwicklung verbindet. Die strategische Verankerung auf Eigentümerebene und die organisatorische Einbettung in HR Development schaffen gute Rahmenbedingungen.
Besonders bemerkenswert ist die proaktive Herangehensweise, wie beim "Fit for Communication" Programm, das die Organisation rechtzeitig auf die Herausforderungen der Wirtschaftskrise vorbereitete. Die kontinuierliche Weiterentwicklung und Anpassung an neue Trends (ISO 9001, Office 365, Social Intranet) zeigt die Lernfähigkeit der Organisation.
Offene Fragen:
- Wie kann das Mittelmanagement effektiver als Multiplikator gewonnen werden?
- Welche Rolle wird Wissensmanagement in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt spielen?
- Sind organisatorische Labels wie "Wissensmanagement" noch zeitgemäß oder behindern sie die Integration?
Handlungsempfehlungen:
- Externe Vernetzung und Austausch mit anderen Organisationen fortsetzen
- Geduld und langen Atem bei der Etablierung sozialer Tools beweisen
- Den Fokus auf den Mehrwert für den einzelnen Mitarbeiter beibehalten
- Die Verbindung von Wissens- und Kompetenzmanagement weiter ausbauen
- Kontinuierlich aktuelle Trends aufgreifen und adaptieren