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Werner Stockinger

Evolution des Wissensmanagements bei der EnBW

Die EnBW blickt auf eine über 20-jährige Geschichte des Wissensmanagements zurück, die von strategischen Höhenflügen bis hin zu pragmatischen Neuausrichtungen reicht. Der Vortrag zeigt die Evolution von klassischen Wissensmanagement-Ansätzen hin zu modernen, agilen Arbeitsformen und digitalen Lernumgebungen auf. Trotz wechselnder strategischer Prioritäten bleibt Wissensmanagement ein zentrales Element der Organisationsentwicklung, auch wenn es heute unter anderen Begriffen firmiert.


Hauptthemen des Beitrags:

  1. Frühe strategische Phase des Wissensmanagements (2005-2008)
  2. Operative Umsetzung durch Wissenstransfer-Methoden
  3. Innovation Labs und neue Arbeitsformen
  4. Digitalisierung der Weiterbildung
  5. Lessons Learned und Erfolgsfaktoren

Frühe strategische Phase des Wissensmanagements (2005-2008)

Die EnBW war bereits 2006 "auf dem Weg zur wissensorientierten Unternehmensführung", wie ein Blogbeitrag von Jochen Robes dokumentierte. Treiber dieser Entwicklung war der damalige Vorstandsvorsitzende Utz Claassen (2003-2007), der eine ambitionierte Vision formulierte: "Wir wollen die Nummer eins beim Wissensmanagement sein und die bestmögliche Förderung und Entwicklung der Potenziale unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicherzustellen."

Von Beginn an verfolgte die EnBW eine dezentrale Strategie: Zentrale Koordination und Unterstützung sollten mit dezentraler Konzeption, Umsetzung und Verantwortung kombiniert werden. Diese Herangehensweise erkannte die unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Geschäftsbereiche - von Strom und Gas bis hin zu Wasser - an.

Ein zentrales Instrument war die "Wissensbilanz made in Germany", die das intellektuelle und immaterielle Kapital des Unternehmens bewertete. Neun Indikatoren wurden definiert:

  • Fachkompetenz
  • Managementkompetenz
  • Sozialkompetenz
  • Mitarbeitermotivation
  • Unternehmenskultur
  • Kommunikation
  • Innovation
  • Beziehungen zu Kunden, Kooperationspartnern und Stakeholdern

Ab 2008 wurden die Ergebnisse sogar öffentlich im Lagebericht des Geschäftsberichts veröffentlicht, sodass auch Investoren Einblicke in diese "weichen Faktoren" erhielten. Aus rund 70 Wissensbilanzen entstanden über 300 Einzelmaßnahmen in den Geschäftsbereichen. Ein kritischer Lernpunkt war jedoch das fehlende "konkrete Maßnahmenmanagement und Controlling", um die Wirksamkeit der Initiativen zu messen.

Operative Umsetzung durch Wissenstransfer-Methoden

Parallel zur strategischen Ebene entwickelte die EnBW ab 2005 operative Ansätze für den Transfer von Erfahrungswissen. Im Zentrum stand die "Wissensstaffette" - eine einfache Methode mit moderierten Übergabegesprächen zwischen Wissensgebern und Wissensnehmern. Die Methode wurde von VW Coaching eingekauft und für verschiedene Anwendungsgebiete adaptiert:

  • Ausscheiden oder Wechsel von Mitarbeitern
  • Aufbau von Wissenslandkarten
  • Einarbeitung neuer Mitarbeiter

Der Erfolg hing stark von der Moderation ab. "Es hängt sehr viel jedenfalls bei uns daran, dass jemand da ist, der das Ganze moderiert oder unterstützt", so die Erfahrung. Als ab 2013 weniger Inhouse-Consultants zur Verfügung standen, ging die Nutzung "rapide runter". Ein Self-Service-Ansatz funktionierte nicht, da die Beteiligten weiterhin externe Begleitung erwarteten.

2012/2013 wurde die Methode zum "Expert Debriefing" weiterentwickelt, um dem Demografiewandel zu begegnen. Wenn viele Mitarbeiter gleichzeitig in Rente gingen, reichten einfache Übergabegespräche nicht mehr aus. Das erweiterte Vorgehensmodell integrierte verschiedene Methoden für umfassenderen Wissenstransfer.

Innovation Labs und neue Arbeitsformen

Nach Fukushima und der Energiewende entwickelte die EnBW eine neue Strategie mit starkem Fokus auf neue Geschäftsmodelle und Produkte. "Es reicht einfach nicht mehr aus, nur noch Strom, Gas oder Wasser zu verkaufen", war die Erkenntnis.

2013 entstand das Innovation Lab in Karlsruhe - ein physisch getrennter Ort mit anderer Arbeitsumgebung, Möblierung und Kultur. Projektteams sollten "getrennt von unserem Hauptstammsitz, von der Denkweise, von der Kultur, von den Kaffeemaschinen" arbeiten können. Erfolgsbeispiele sind die "intelligente Straßenlaterne" mit integrierten Komponenten wie Notrufknöpfen, Elektrotankstellen und WLAN-Hotspots.

Die Teams arbeiten mit neuen Methoden wie Design Thinking, Scrum und agilen Ansätzen. Sie können sich "selbst organisieren" und "einfach andere Arbeitsformen auch mal ausprobieren".

Parallel startete 2013 die Initiative "1492" (benannt nach Kolumbus), um innovative Arbeitsweisen in den Konzern zu transferieren. Das Konzept bringt Führungskräfte mit Projektideen und interessierte Mitarbeiter in "Pitchform" zusammen. Teams von 10-20 Personen entwickeln drei bis vier Monate lang selbstorganisiert Lösungsansätze bis zum Prototyp-Status. Der Auftraggeber agiert als Mentor, ohne sich in die Projektarbeit einzumischen.

Beim ersten Kick-off überraschten 100-130 interessierte Mitarbeiter - "ein viraler Effekt im Unternehmen". Das Interesse blieb über vier Staffeln konstant hoch. Die Initiative wurde sogar in der Filmreihe "Augenhöhe Wege" dokumentiert und mit einem Excellence Award ausgezeichnet.

Digitalisierung der Weiterbildung

Seit einem Jahr läuft ein großes Digitalisierungsprojekt für die Weiterbildung. Traditionell bedeutete Weiterbildung bei der EnBW "zu 90, in manchen Bereichen über 90 Prozent Präsenzveranstaltungen". Dieser Ansatz galt als nicht mehr zukunftsfähig.

Vier Arbeitsbereiche wurden definiert:

  • Neue Lernmedien: Verstärkter Einsatz von Videos und Web-based Trainings als Ergänzung zu klassischen Formaten
  • Lernorte: Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten abseits des normalen Arbeitsplatzes für digitales Lernen
  • PE Campus: Eine digitale Plattform als zentraler Einstiegspunkt für alle Weiterbildungsangebote im Konzern
  • Informelles Lernen: Beschreibungen und Anleitungen für Formate wie Barcamps und neue Workshop-Methoden

Die Mitarbeiter erhalten "zusätzliche Lernmedien" ohne explizite Erwähnung von Fachbegrffen wie "Blended Learning" oder dem "70-20-10 Modell". Die Rückmeldungen sind positiv: "Da muss ich einfach nicht so viel Zeit investieren und ich habe vielleicht jetzt schon ein Video oder ein 1 Stunden Web-based Training über Projektmanagement und muss nicht drei Monate auf einen Seminartermin warten."

Der Cafeteria-Bereich wird zunehmend als informeller Lernort genutzt: "Es sitzen dort immer Leute, die sich dort auch zu Kurzmeetings treffen", da sie "nach irgendwelchen Nischen und Orten" suchen, "um nicht in einen klassischen Besprechungsraum zu gehen."

Lessons Learned und Erfolgsfaktoren

Die EnBW-Projekte lassen sich in das Wissensmanagement-Modell von Probst, Raub und Romhardt einordnen, vereinfacht auf vier Elemente: Generieren, Sichern, Verteilen und Anwenden von Wissen. Einerseits wurden "fast alle Elemente gut abgedeckt", andererseits könnte man kritisieren, dass "überall ein bisschen was gemacht" wurde ohne klaren Schwerpunkt.

Zentrale Erkenntnisse:

  • Begrenzte Nachhaltigkeit: "Einige von diesen Methoden sind nicht so langlebig" - die Wissensbilanz wird nicht mehr durchgeführt, andere Ansätze sind "eingeschlafen"
  • Zyklische Entwicklung: "Das ändert sich ganz einfach" - manche Themen wie Communities oder Projekt-Wissensmanagement erleben Wiederaufblühungen
  • Weniger Technikfokussierung: Die "Toolfrage steht nicht mehr so im Vordergrund, sondern eher das Wie und weniger das Womit"
  • Management-Unterstützung essentiell: "Wenn es keine aktive Unterstützung vom Top- oder vom oberen Management geht, dann ist es sehr schwer"
  • Middle-Up-Down-Prinzip: Initiativen aus dem mittleren Management können sich "wie so ein Feuer von nach unten und oben ausbreiten", brauchen aber "einen starken Treiber"

Fünf Erfolgsfaktoren wurden identifiziert:

  1. Geeignete Rahmenbedingungen (ähnlich einem "bedingungslosen Lerngrundeinkommen")
  2. Die richtige Haltung und Werte als Schwerpunkt
  3. Entwicklung einer "wissensorientierten Brille" bei Führungskräften
  4. Verständnis für Wissensflüsse und Wissensarbeiter
  5. Integration in Entscheidungsprozesse

Fazit

Die EnBW zeigt exemplarisch die Evolution des Wissensmanagements in einem Großkonzern über zwei Jahrzehnte. Trotz strategischer Neuausrichtungen und dem Verschwinden des Begriffs "Wissensmanagement" aus offiziellen Dokumenten wird "trotzdem Wissensmanagement" gemacht - "ich nenne es vielleicht einfach nicht mehr so".

Die zentrale Botschaft lautet: "Wissen macht glücklich" - aber nur "wenn man die richtige Brille auf hat, dann kann man ganz sicher sein, dass das auch Wissen oder Wissenteilen auch glücklich macht."

Handlungsempfehlungen aus dem Vortrag:

  • Entwicklung eines konkreten Maßnahmenmanagements und Controllings für Wissensmanagement-Initiativen
  • Stärkere Verbindung zu Geschäftszielen herstellen
  • Führungskräfte in "wissensorientierter Brille" schulen
  • Dezentrale Ansätze mit zentraler Koordination kombinieren
  • Nachhaltigkeit von Initiativen durch kontinuierliche Betreuung sicherstellen
  • Zyklische Entwicklungen antizipieren und flexibel darauf reagieren