Anna Gutzmann, Gudrun Behm-Steidel
Studiengang Informations- und Wissensmanagement an der Hochschule Hannover
Der berufsbegleitende Masterstudiengang Informations- und Wissensmanagement der Hochschule Hannover wurde 2005 entwickelt und bietet seit 2006 eine praxisorientierte Weiterbildung für Berufstätige. Das Programm kombiniert theoretische Fundierung mit praktischer Anwendung in einem innovativen Blended-Learning-Format. Trotz erfolgreicher Durchführung von fünf Jahrgängen steht der Studiengang vor strukturellen Herausforderungen bezüglich seiner Zukunftsfähigkeit.
- Referent:innen: Anna Gutzmann, Gudrun Behm-Steidel
- Aufzeichnung: Video
- Transkript: txt
Hauptthemen des Beitrags:
- Entstehung und Konzeption des Studiengangs
- Studienorganisation und Zielgruppe
- Curriculum und Modulstruktur
- Lehr- und Prüfungsformen
- Masterarbeiten und Qualifikationsziele
- Rahmenbedingungen und finanzielle Herausforderungen
- Zukunftsperspektiven und strukturelle Probleme
Entstehung und Konzeption des Studiengangs
Der Masterstudiengang Informations- und Wissensmanagement entstand 2005 im Kontext der Bologna-Reform, als die Diplomprogramme auf Bachelor umgestellt werden mussten. Prof. Gudrun Behm-Steidel, damalige Studiendekanin und heutige Koordinatorin des Studiengangs, erkannte die Chance, für bisherige Absolventen eine attraktive Weiterqualifikationsmöglichkeit zu schaffen.
Die Entscheidung für Wissensmanagement als Fachrichtung basierte auf der Beobachtung, dass in diesem Bereich keine größeren Qualifikationsmöglichkeiten existierten, obwohl die Nachfrage vorhanden war. Der Studiengang sollte bewusst über den klassischen Bibliotheks- und Informationsbereich hinausgehen und neue Perspektiven eröffnen.
Von Beginn an war klar, dass die Zielgruppe aus Berufspraktikern bestehen würde, die nicht aus dem Beruf aussteigen, sondern berufsbegleitend studieren wollten. Diese Erkenntnis prägte die gesamte Studienorganisation und führte zur Konzeption als berufsbegleitender Weiterbildungsstudiengang.
Studienorganisation und Zielgruppe
Der Studiengang richtet sich an zwei Hauptzielgruppen:
- Informationsspezialisten, Informatiker und Wirtschaftsinformatiker mit mindestens einem Jahr einschlägiger Berufserfahrung im Informations- oder Wissensmanagement
- Quereinsteiger aus anderen Bereichen, die im Wissensmanagement arbeiten oder vertieft einsteigen möchten
Die Studienorganisation folgt einem innovativen Blended-Learning-Konzept mit fünf bis sechs Präsenzphasen pro Semester. Jede Präsenzphase dauert drei Tage (Donnerstag bis Samstag) und findet in Hannover statt. Zwischen den Präsenzphasen erfolgt das Lernen über E-Learning-Formate mit kontinuierlicher Betreuung.
Anna Gutzmann, Absolventin des Jahrgangs 2015 und heute Wissensmanagerin bei der Audi AG, bestätigt die Wirksamkeit dieses Formats: "Für mich persönlich war es der richtige Mix, weil es wirklich drei Tage waren, auf die ich mich voll und ganz konzentrieren konnte und in dieses Thema Informations- und Wissensmanagement einsteigen konnte."
Das Studium ermöglicht eine kontinuierliche Verknüpfung von Theorie und Praxis, da die Studierenden ihre aktuellen beruflichen Projekte in den Lernprozess einbringen und in der Gruppe reflektieren können.
Curriculum und Modulstruktur
Das Curriculum basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz und umfasst die Dimensionen Mensch, Organisation und Technik. Die Struktur gliedert sich in Pflichtmodule und Wahlpflichtmodule, wobei die Studierenden entsprechend ihren beruflichen Anforderungen individuell wählen können.
Die Pflichtmodule umfassen:
- Informations- und Wissensmanagement (Grundlagen und Vertiefung)
- Wissensverarbeitung (Data Mining, Text Mining, Thesaurus, Ontologien)
- Datenbanken und Wissensmanagement-Anwendungen
Die Wahlpflichtmodule sind in drei Bereichen organisiert:
- Technik: Audio- und Bildinformationen, Video-Tutorials, E-Learning
- Organisation: BWL, Management-Kompetenzen, organisationales Lernen
- Mensch: Führungskompetenz, soziale Kompetenz, individuelles Lernen
Diese Struktur ermöglicht es den Studierenden, sich entsprechend ihrer beruflichen Tätigkeit zu spezialisieren und gleichzeitig neue Bereiche zu erkunden. Die heterogene Zusammensetzung der Studierendengruppe - von Wirtschaftsunternehmen über Forschungseinrichtungen bis hin zu Bibliotheken und Behörden - bereichert den Lernprozess durch vielfältige Perspektiven.
Lehr- und Prüfungsformen
Die Lehre im Weiterbildungsmaster unterscheidet sich deutlich von traditionellen Studiengängen. Prof. Behm-Steidel berichtet: "Nach der vierten Folie geht es los. Also das sehe ich anders und wie ist meine Erfahrung." Die Studierenden bringen ihre praktischen Erfahrungen aktiv ein, was zu lebendigen Diskussionen und einem intensiven Wissensaustausch führt.
Die Prüfungsformen sind konsequent praxisorientiert gestaltet:
- Präsentationen statt Klausuren
- Projektarbeiten mit Praxisbezug
- Reflexive Komponenten, die theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen verknüpfen
Anna Gutzmann beschreibt die Prüfungsleistungen: "Wir haben in der Regel die Prüfungsleistung so abgeliefert, dass es immer einen Teil gab, der auf das Fachliche einging, auf das Methodische auch einging und auch einen reflektierenden Teil hatte."
Diese Herangehensweise ermöglicht es den Studierenden, nicht nur Wissen zu reproduzieren, sondern es kritisch zu reflektieren und auf ihre spezifischen beruflichen Kontexte anzuwenden.
Masterarbeiten und Qualifikationsziele
Die Masterarbeit stellt den Höhepunkt des Studiums dar und wird bereits im vierten Semester vorbereitet. Die Themenvielfalt spiegelt die Breite des Wissensmanagements wider:
- Kompetenzentwicklung und Kompetenzmodelle
- Beziehungsmanagement im Wissensmanagement
- Wissenskommunikation und Handlungswissenstransfer
- Mikrolernen im betrieblichen Bereich
- Wissenstransfer bei Seniorexperten
Die Masterarbeiten, die keine vertraulichen Inhalte enthalten, werden auf dem Repositorium-Server der Hochschule veröffentlicht und stehen damit der Fachcommunity zur Verfügung.
Das Programm zielt auf eine theoretisch fundierte, aber praxisorientierte Qualifikation ab. Es verbindet Modelle mit deren praktischer Anwendung und zeigt auf, "wozu braucht man das? Wie führt man es rüber? Oder wie sind die einzelnen Tools? Auf welche Modelle gehen die zurück?"
Aus den fünf Jahrgängen konnte bereits eine Promotion abgeschlossen werden, eine weitere befindet sich in Arbeit, was die wissenschaftliche Qualität des Studiengangs unterstreicht.
Rahmenbedingungen und finanzielle Herausforderungen
Der Studiengang steht vor erheblichen strukturellen Herausforderungen. Die ursprünglich günstigen Rahmenbedingungen haben sich "geradezu ins Gegenteil verkehrt". Während zu Beginn gefordert wurde, hauptamtliche Lehrende einzusetzen, verbietet die EU-Beihilferegelung heute, dass Programme auf dem Markt aus öffentlichen Geldern finanziert werden.
Die neuen Bestimmungen besagen:
- Weiterbildungsstudiengänge müssen sich vollständig selbst tragen
- Hauptamtliche Lehrende dürfen nur noch als Nebentätigkeit unterrichten
- Hohe Gemeinkostenzuschläge (60-80%) erschweren die Kalkulation
Prof. Behm-Steidel beschreibt die Situation: "Ein Weiterbildungsstudiengang ist wirtschaftliches Handeln der Hochschule, unterliegt der Trennungsrechnung und muss damit ganz gesund rausfallen."
Trotz erfolgreicher Durchführung und positiver Evaluationen ist die langfristige Fortführung unter diesen Bedingungen fraglich. Der Studiengang umfasst nur 16 Studienplätze alle zwei Jahre, was eine kritische Masse für die Kostendeckung erschwert.
Zukunftsperspektiven und strukturelle Probleme
Die Diskussion um die Zukunft des Studiengangs offenbart grundsätzliche Probleme bei der Etablierung innovativer Weiterbildungsformate an staatlichen Hochschulen. Prof. Behm-Steidel plant ihren vorzeitigen Ausstieg, und es findet sich niemand, der die Koordination übernehmen möchte.
Mehrere strukturelle Hindernisse wurden identifiziert:
- Das "Korsett durch Akkreditierung" verhindert die notwendige Flexibilität und dynamische Weiterentwicklung
- Zentrale Weiterbildungseinrichtungen verstehen oft nicht die spezifischen Bedürfnisse der Zielgruppe
- Die Orientierung an Kostenreduktion statt Qualität gefährdet die Programmqualität
Ein Diskussionsteilnehmer betont: "Wir brauchen solche Basismodule, die sind super. Aber wir müssen dann eine dynamische Weiterentwicklung auch dieser Inhalte. Weil das ist eigentlich genau das, was wir leben."
Die kleine Gruppengröße von 16 Teilnehmern wird als "großer Luxus" und "ganz tolles Lernen" geschätzt, macht aber die wirtschaftliche Tragfähigkeit schwierig. Eine Aufstockung würde jedoch die besondere Gruppendynamik und das intensive Lernerlebnis gefährden.
Fazit
Der Masterstudiengang Informations- und Wissensmanagement der Hochschule Hannover stellt ein erfolgreiches Modell für praxisorientierte Weiterbildung dar, das theoretische Fundierung mit praktischer Anwendung optimal verknüpft. Die innovative Studienorganisation mit Blended Learning und die heterogene Studierendengruppe schaffen ein einzigartiges Lernerlebnis.
Offene Fragen und Herausforderungen:
- Wie können innovative Weiterbildungsformate an staatlichen Hochschulen langfristig etabliert werden?
- Welche alternativen Organisationsformen könnten die Kontinuität solcher Programme sichern?
- Wie lässt sich die notwendige Flexibilität mit den Anforderungen der Akkreditierung vereinbaren?
Handlungsempfehlungen:
Anna Gutzmann appelliert eindringlich: "Lassen Sie uns eine Lösung in Deutschland finden, die wirklich auch dieses Fundament im Wissensmanagement, was es ja jetzt mit Rückblick 20 Jahre gibt und vielleicht auch in die Zukunft geben könnte, nicht sterben lassen. Denn das Angebot ist wirklich wichtig und wir haben sehr, sehr viel Nachfrage momentan."
Die Diskussion zeigt die Notwendigkeit auf, neue Kooperationsmodelle zu entwickeln und in der geplanten Barcamp-Session Zukunftsvisionen für die Wissensmanagement-Ausbildung zu erarbeiten. Nur durch innovative Lösungen kann verhindert werden, dass wertvolle Expertise und bewährte Ausbildungsformate verloren gehen.