Simone Engelhard, Simon Qualmann - Der Working-Learning Gap – Zwischen Alltagsstress und Lernanspruch
Simone Engelhard, Simon Qualmann: Der Working-Learning Gap – Zwischen Alltagsstress und Lernanspruch
Wir glauben: Wer sich im Job weiterentwickeln soll, braucht mehr als gute Inhalte – nämlich Zeit, Struktur und Motivation. In dieser Session nehmen wir den Working-Learning Gap unter die Lupe: die Lücke zwischen dem Wunsch nach Weiterbildung und den realen Möglichkeiten im Arbeitsalltag. Wie viel Zeit fürs Lernen ist realistisch – und wie viel wird erwartet? Welche Formate helfen wirklich weiter, ohne zusätzlich zu belasten? Und was motiviert Menschen überhaupt, sich mit Freude weiterzubilden? Gemeinsam wollen wir Lösungen finden, wie Lernen im Alltag gelingt – ohne Druck, sondern mit klugen Formaten, passenden Medien und einer realistischen Dosierung.
In dieser Session diskutierten Simone Engelhard und Simon Qualmann gemeinsam mit den Teilnehmenden das Phänomen des "Working Learning Gap" - die Kluft zwischen dem Wunsch nach kontinuierlichem Lernen und der Realität des Arbeitsalltags. Trotz einer Fülle an verfügbaren Lernformaten und -inhalten scheitert die praktische Umsetzung oft an fehlender Zeit, mangelnder Struktur und unzureichender Motivation. Die Session entwickelte sich zu einer lebendigen Diskussion über organisationale Herausforderungen, individuelle Verantwortung und praktische Lösungsansätze für nachhaltiges Lernen im Arbeitskontext.
Gliederung und Aufbau des Vortrags
Die Session war bewusst interaktiv gestaltet und folgte einem offenen Diskussionsformat:
- Einführung und Problemstellung: Vorstellung der zentralen These zum Working Learning Gap
- Interaktive Diskussion: Erfahrungsaustausch der Teilnehmenden aus verschiedenen Organisationen
- Lösungsansätze: Sammlung praktischer Strategien und Best Practices
- Herausforderungen: Identifikation organisationaler und individueller Hindernisse
- Ausblick: Entwicklung von Handlungsempfehlungen und nächsten Schritten
Zentrale These: Mehr als gute Inhalte erforderlich
Die Moderatoren stellten zu Beginn ihre "steile These" vor: "Wer sich weiterentwickeln will, braucht mehr als gute Inhalte, nämlich Zeit, Struktur und Motivation." Diese Kernaussage bildete das Fundament für die gesamte Diskussion und spiegelte die Erfahrung wider, dass trotz hochwertiger Lernangebote die praktische Umsetzung oft scheitert.
Simone Engelhard beschrieb das Dilemma aus ihrer Perspektive als Selbstständige: "Ich hätte so viele coole Themen, die ich gerne machen würde, die ich anpacken würde, die ich integrieren möchte und lernen möchte, aber irgendwie habe dann auch ich als Selbstständige manchmal keine Zeit oder keine Lust oder wie auch immer."
Organisationale Verantwortung und strategische Kompetenzentwicklung
Ein zentraler Diskussionspunkt war die Rolle der Organisation bei der Schaffung von Lernmöglichkeiten. Mehrere Teilnehmende betonten die Bedeutung strategischer Kompetenzentwicklung.
Ein Vertreter von Vitesco/Schaeffler erläuterte: "Wir haben strategisches Kompetenzmanagement gemacht, also Strategic Workforce Planning auch, weil wir einfach begriffen haben, dass die Kompetenz der Mitarbeiter ist ein ganz, ganz wichtiger Faktor für den Erfolg." Er betonte weiter: "Wenn das Management, das Top-Management begriffen hat, dass die Kompetenzen der Mitarbeiter ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor sind für den Erfolg des Unternehmens, dann ist der logische nächste Schritt, dass man da ganz strukturiert reingeht."
Die Diskussion zeigte, dass erfolgreiche Lernkulturen eine klare Verbindlichkeit benötigen. Ein Teilnehmer von der LV teilte mit: "Tatsächlich das Ganze ein Stück weit zu formalisieren [...] hat es sich bewährt, verbindlich Entwicklungspläne einzuführen, die mit dem Vorgesetzten besprochen werden."
Kulturelle Hindernisse und Führungsverantwortung
Ein wiederkehrendes Thema war der Einfluss der Unternehmenskultur auf die Lernbereitschaft. Ein Teilnehmer beschrieb die Herausforderung: "Ich erlebe tatsächlich eine Situation, dass es von der Firmenkultur auch von der Führung gar nicht gewollt ist, dass Zeit fürs Lernen genommen wird."
Diese kulturellen Barrieren manifestieren sich in verschiedenen Formen: - Fehlende psychologische Sicherheit für Lernaktivitäten - Schlechtes Gewissen bei der Nutzung von Lernzeit - Priorisierung operativer Aufgaben über Entwicklungsmaßnahmen
Eine Teilnehmerin aus dem Change Management berichtete: "Ich aber in Richtung Organisation und Führungskräfte sehr viel Rechtfertigung erbringen muss. Wir sind ja dann nächstes Jahr fertig, dann brauchen wir die Investition ja gar nicht mehr."
Individuelle Strategien und Eigenverantwortung
Trotz organisationaler Hindernisse entwickelten die Teilnehmenden praktische Strategien für individuelles Lernen. Marina Kraft teilte ihre Erfahrung: "Ich mache mir bestimmte Blocker in den Kalender, sowohl für morgens eine Stunde E-Mails lesen [...] Genauso wie eine Stunde Lernzeit zweimal die Woche geblockt ist."
Sie betonte die Bedeutung der Sichtbarkeit: "Und dann im Gegenzug aber auch sich Multiplikatoren-Innen-Communities zu suchen, indem man dann die eigenen Outcomes visibel macht."
Generationsspezifische Herausforderungen
Die Diskussion offenbarte unterschiedliche Lernmotivationen je nach Altersgruppe. Almut von Vitesco beobachtete: "Ältere Arbeitnehmer überhaupt nicht bereit sind, noch was zu lernen. Also die Lernangebote werden von älteren Arbeitnehmern fast überhaupt nicht mehr angenommen."
Gleichzeitig wurde deutlich, dass auch jüngere Mitarbeitende Herausforderungen haben: "Während die jüngeren Kollegen dann fit sein sollten und das aber noch nicht kennen, selbstständig lernen, auch nie erfahren haben und da noch total unsicher sind."
Messbarkeit und Mehrwert von Lernaktivitäten
Ein kritischer Aspekt war die Darstellung des Mehrwerts von Lernaktivitäten. Simone Engelhard reflektierte: "Für mich ist immer diese Maßgabe, ich kann es nicht immer direkt sehen, was bringt das, aber immer zu reflektieren und darzustellen und mir selber auch darzustellen [...] das hat den Mehrwert gebracht."
Christian von der DATEV warnte vor übermäßiger Quantifizierung: "Bitte sagt euren Manager, man kann Komplexität nicht so messen, wie man andere Prozesse misst." Er plädierte gegen starre Regelungen: "Und ja, Benedikt, dass wir Tendenzen haben, dass wir alles messen wollen. Und bitte alle Kraft zusammen machen, dass wir keine zwei Stunden Quatsch messen für Lernen pro Woche."
Relevanz und zielgruppengerechte Kommunikation
Ein wichtiger Erkenntnisgewinn war die Notwendigkeit, Lerninhalte relevant und zielgruppengerecht zu kommunizieren. Ein Teilnehmer betonte: "Wenn wir den Zuhörer überzeugen wollen, dass er einen Rahmen schafft zum Lernen, dann müssen wir auch mehr darauf achten, was ist denn jetzt der Business KPI, der eben gerade [...] sein Unternehmen oder sein Teil über Wasser hält."
Die Strategie, mit praktischem Nutzen zu beginnen, erwies sich als erfolgreich: "Stattdessen sind wir ganz stark in dieses Thema Relevanz reingegangen, die zeigen, hey, das ist doch relevant. Guck mal, ich habe hier einen ganz coolen Hack."
Technologische Überforderung und Fokussierung
Simon Qualmann teilte eine interessante Beobachtung von einer Microsoft-Entwicklerkonferenz: "Viele Entwickler oder viele Anwender oder auch Admins [...] gerade auch von Informationen vielleicht auch ein bisschen überrollt werden. Stichwort Fokus finden."
Diese Erkenntnis verdeutlichte, dass selbst technisch versierte Fachkräfte mit der Geschwindigkeit technologischer Entwicklungen überfordert sind und Unterstützung bei der Fokussierung benötigen.
Handlungsempfehlungen
Aus der Diskussion ergaben sich mehrere konkrete Handlungsempfehlungen:
Für Organisationen:
- Entwicklung strategischer Kompetenzpläne mit klarer Verbindlichkeit
- Integration von Lernzeit in Weiterbildungsausschreibungen (z.B. "drei Tage Weiterbildung: zwei Tage live, ein Tag Transfer")
- Schaffung psychologischer Sicherheit für Lernaktivitäten
- Vorbildfunktion der Führungskräfte beim Lernen
Für Individuen:
- Proaktive Kalenderblockierung für Lernzeiten
- Sichtbarmachung von Lernergebnissen in der Organisation
- Bildung von Lern-Communities und Peer-Learning-Gruppen
- Fokussierung auf relevante, praxisnahe Lerninhalte
Für Lernverantwortliche:
- Kommunikation in der Sprache der Zielgruppe mit konkretem Business-Bezug
- Niederschwellige Einstiegsangebote vor Mindset-Diskussionen
- Bereitstellung flankierender Maßnahmen (Aufzeichnungen, Podcasts)
- Aufbau von Netzwerken motivierter Lernender als Multiplikatoren
Für die Zukunft:
- Entwicklung spielerischer Lernformate (z.B. Adventskalender-Logik)
- Kontinuierliche Reflexion und Anpassung von Lernstrategien
- Akzeptanz, dass Lernen ein individueller Prozess ist, der nicht standardisiert werden kann
Die Session verdeutlichte, dass der Working Learning Gap ein komplexes Phänomen ist, das sowohl organisationale als auch individuelle Lösungsansätze erfordert. Der Schlüssel liegt in der Balance zwischen struktureller Unterstützung und individueller Eigenverantwortung, wobei die Relevanz und der praktische Nutzen des Lernens stets im Vordergrund stehen müssen.