Achim Brueck - Was braucht eine Community, die "unbekanntes Unwissen" erkunden will?
Achim Brueck: Was braucht eine Community, die "unbekanntes Unwissen" erkunden will?
Wer unbekannten Unwissen (UU) auf die Spur kommen will, braucht mindestens mal Offenheit und verschiedene Perspektiven. Beides ist Community-DNA. Zusätzlich braucht es für die Reise aber noch mehr, vor allem ganz viele produktive Fragen. Die Idee dieser Session ist es, gemeinsam Ideen zu sammeln wie eine UU-Community praktisch umgesetzt werden könnte. Erlaubt ist natürlich auch die Frage: Und was wäre noch zielführend, wenn es keine Community wäre?
In dieser Session beschäftigten sich Achim (Community Manager bei Mercedes-Benz) und Tanja (selbstständige Community-Beraterin) mit der Frage, wie Communities dabei helfen können, unbekanntes Unwissen zu erkunden. Basierend auf dem Konferenz-Leitmotiv "Mind the Gap" entwickelten sie gemeinsam mit den Teilnehmenden Prinzipien und Methoden, um Wissenslücken aufzudecken, die man nicht einmal als solche erkennt. Die Session kombinierte theoretische Impulse mit praktischen Übungen und mündete in einer lebhaften Diskussion über die Rolle von Vertrauen, Konflikt und psychologischer Sicherheit beim gemeinsamen Lernen.
Einführung und Kontext
- Vorstellung der Referenten und Einordnung in das Konferenz-Thema
- Erläuterung des Rumsfeld-Quadranten von Wissen und Unwissen
- Verbindung zwischen systemischem Coaching und Community Management
Theoretischer Impuls: Prinzipien zur Erkundung von Wissenslücken
- Sechs grundlegende Prinzipien mit konkreten Methoden
- Übertragung auf Community-Kontexte
Praktischer Teil
- Stilles Brainstorming am Conceptboard
- Gemeinsame Reflexion und Diskussion
- Erfahrungsaustausch der Teilnehmenden
Synthese und Erkenntnisse
- Zusammenführung der Erkenntnisse
- Handlungsempfehlungen für die Praxis
Kernaussagen
Das Rumsfeld-Quadrat als Ausgangspunkt
Die Session basierte auf dem bekannten Wissensmodell von Donald Rumsfeld: "Es gibt Wissen, dass wir wissen, dass wir es wissen, wissen, dass wir, oder Unwissen, dass wir wissen, dass wir es wissen." Besonders relevant wird dabei das unbekannte Unwissen - "Unwissen, wo wir gar nicht wissen, dass es eigentlich auf unserer Agenda stehen müsste."
Sechs Prinzipien zur Erkundung unbekannten Unwissens
Stell dir vor, es ist gescheitert
"Stell dir vor, es ist gescheitert. Also dein Vorhaben ist gescheitert." Diese Prä-Mortem-Analyse hilft dabei, "verborgene Risiken, Denkfehler an den Tag zu bringen." Die Methode eignet sich besonders "für unbekannte Projekte" und ermöglicht es Teams, sich gemeinsam Szenarien zu überlegen, "was hätte da alles schief gehen können."
Lade Widerspruch ein
Das Prinzip des "Red Teaming" bedeutet, bewusst kritische Perspektiven einzuladen. "Ein Team bekommt wirklich die Rolle, alles zu hinterfragen und wirklich in alle Schwachstellen reinzufragen." Auch wenn dies "nicht immer unbedingt angenehm" ist, braucht man genau das: "Wenn man nicht weiß, was man nicht weiß, muss man es ja irgendwie erkunden."
Lerne durch Perspektivwechsel
Methoden wie Reverse Mentoring oder Job Shadowing ermöglichen es, "das Ding mal ganz anders zu sehen." In Communities wird dies besonders durch Serendipity möglich: "In Netzwerken treffe ich Leute. Ja, es ist ein bisschen willkürlich, aber plötzlich entdecke ich da Gemeinsamkeiten oder es entsteht eine Chance daraus."
Frage das, was nie gefragt wird
"Arbeite mit absurden, hypothetischen oder kindlichen Fragen." Beispiele sind Fragen wie "was könnte ich fragen, was in diesem Unternehmen nie angesprochen werden darf?" oder völlig kontextfremde Fragen: "Stell dir vor, du wärst ein Dinosaurier, stell dir vor, du wärst ein Einhorn."
Beobachte Störungen statt Symptome
Anstatt nur auf Symptome zu reagieren ("etwas ist gescheitert oder ich bin gestresst"), sollte man "mal gucken, ja, wo entsteht denn dieser Stress auch im Projekt? Was machen wir vielleicht umständlich?" Dabei ist "Achtsamkeit, also wirklich auch die Bereitschaft, sich darauf einzulassen, das mal genauer zu analysieren, genauer zu besprechen, genau zu reflektieren, ganz, ganz wichtig."
Aktives Verlernen
"Wir gucken immer, was können wir lernen. Wir denken aber nie darüber nach oder fragen uns nicht bewusst, was ist denn gar nicht mehr gültig?" Es geht darum zu hinterfragen: "Was mache ich einfach so, weil ich es immer so gemacht habe, aber was macht denn heute gar keinen Sinn mehr und was sollte ich verlernen, um damit Raum für andere Dinge zu machen?"
Communities als idealer Rahmen
Communities bieten besondere Voraussetzungen für die Erkundung unbekannten Unwissens:
Gemeinsame Motivation und Ergänzung
"Sie teilen natürlich eine gemeinsame Motivation oder sich ergänzende Motivationen. Also die einen wollen Hilfe, die anderen wollen vielleicht durch ihre Ratschläge eher Reputation aufbauen, aber das ergänzt sich dann wunderbar."
Emotionaler Kern und Vertrauensbasis
"Dieser emotionale Kern, der eine Community auch rausschmacht am Ende. Wenn ich halt sehe, ich habe was mit den Menschen gemeinsam und es bildet sich sowas raus wie eine gemeinsame Identität." Besonders wichtig ist dabei: "Wir haben hier eine Vertrauensbasis. Gerade wenn wir diese kritischen Fragen, wo wir vorhin drüber gesprochen haben, dieses unangenehme Gefühl, das will ich vielleicht nicht mit jedem auch durchmachen."
Safer Spaces schaffen
Ein zentraler Erkenntnisgewinn war: "Wie kann ich Räume schaffen, wo du dir erlauben kannst und wo ich mir auch erlauben kann, was Undenkbares zu sagen und dem auch zu lauschen, was andere sagen? Das ist für mich die Essenz aus dem Ganzen."
Die Rolle von Konflikt und Kritik
Konflikt als Lernchance
"Wenn wir gegeneinander stoßen, in klein oder in groß, dann sehen wir, was wir nicht vorher gesehen haben." Dabei gilt: "Konfliktbearbeitung schafft Nähe." Ein Teilnehmer berichtete: "Ein Tag, wo ich keine Kritik höre, ist ein verlorener Tag, weil da habe ich nichts zu reflektieren, da kann ich nicht wachsen und weiterentwickeln."
Vertrauen als Voraussetzung
"Wir waren auf Kritik scharf. Warum? Weil wir Vertrautheit hatten. Also wir hatten den Raum geschaffen." Das Vertrauen entwickelt sich dabei über Zeit: "Das ist auch immer ein Prozess, der sich entwickeln muss. Und man kann nicht erwarten, dass das von Anfang an einfach direkt so ist."
Moderation und Gruppendynamik
Sensible Moderation erforderlich
"Die Moderation ist ganz wichtig, dass sie eben da auch sensibel ist." Dabei geht es nicht nur darum zu prüfen, "sind wir noch beim Thema", sondern auch "dass wirklich jede einzelne Person, die daran teilnimmt, genug Raum kriegt."
Umgang mit Ego-Dynamiken
Eine wichtige Erkenntnis war, dass "sich so die Gruppendynamik in den Vordergrund schiebt und damit eher so die eigenen Befindlichkeiten oder auch das eigene Ego" den Lernprozess behindern können. Als Lösung wurde vorgeschlagen: "Methoden finden oder Ansätze finden, da drum herum zu kommen."
Metareflexion als Schlüssel
Über das Wie sprechen, nicht nur über das Was
"Was viel zu selten auch gemacht wird, ist die Frage zu stellen [...] wie ging es dir damit? Also gar nicht über die Sache diskutieren, sondern zuerst mal zu erkunden, was hat das gerade ausgelöst? Was hat das gerade in dir bewirkt?"
Achtsamkeit kultivieren
"Manchmal ist es ja so, dass man so Scheuklappen anhat und dass jemand etwas sagt oder etwas einem begegnet, ohne dass man es wirklich wahrnimmt. Also sich selber in Achtsamkeit zu üben und zu gucken, wie kann ich das verinnerlichen."
Handlungsempfehlungen
Für Community Manager
- Vertrauensräume schaffen: Investieren Sie bewusst Zeit in den Aufbau von Vertrauen, bevor Sie kritische oder explorative Diskussionen initiieren
- Stille Reflexionsphasen einbauen: Nutzen Sie Methoden wie stilles Brainstorming, um allen Teilnehmenden Raum für eigene Gedanken zu geben
- Metareflexion fördern: Fragen Sie regelmäßig nach dem "Wie" der Zusammenarbeit, nicht nur nach dem "Was"
- Konflikt als Lernchance begreifen: Entwickeln Sie Formate, die konstruktive Meinungsverschiedenheiten ermöglichen und moderieren
Für Teilnehmende in Communities
- Achtsamkeit entwickeln: "Sich selber in Achtsamkeit zu üben und zu gucken, wie kann ich das verinnerlichen"
- Kritik als Geschenk verstehen: Öffnen Sie sich für Feedback und unterschiedliche Perspektiven
- Aktiv verlernen: Hinterfragen Sie regelmäßig bestehende Gewohnheiten und Denkweisen
- Absurde Fragen stellen: Trauen Sie sich, unkonventionelle oder kindliche Fragen zu stellen
Für Organisationen
- Communities als Lernlabore nutzen: Erkennen Sie das Potenzial von Communities für die Erkundung unbekannten Unwissens
- Psychologische Sicherheit fördern: Schaffen Sie Rahmenbedingungen, die experimentelles Denken und Scheitern erlauben
- Diverse Perspektiven einladen: Nutzen Sie Methoden wie Red Teaming oder Reverse Mentoring systematisch
- Prä-Mortem-Analysen etablieren: Implementieren Sie regelmäßige "Was-wäre-wenn"-Szenarien in Projektplanungen
Die Session machte deutlich, dass die Erkundung unbekannten Unwissens weniger eine Frage der richtigen Methoden als vielmehr eine Frage der richtigen Haltung und des passenden Rahmens ist. Communities bieten dabei einzigartige Möglichkeiten, weil sie Vertrauen, Vielfalt und gemeinsame Motivation in einer Weise verbinden, die sowohl sicheres Experimentieren als auch produktive Reibung ermöglicht.