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Martin Harnisch - Enterprise Wikis - Warum alle alles lesen und bearbeiten können sollten

Martin Harnisch: Enterprise Wikis: Warum alle alles lesen und bearbeiten können sollten

In vielen Organisationen sind Wikis stark eingeschränkt – und bleiben damit unter ihren Möglichkeiten. In dieser Session zeige ich, warum ein offenes Wiki, in dem alle alles lesen und bearbeiten können, die Zusammenarbeit und den Wissenstransfer massiv verbessern kann. Wir sprechen über Vorteile, typische Bedenken und sinnvolle Grenzen – und darüber, wie ein Wiki zur lernenden Organisation beiträgt.

Martin Harnisch, Wissensmanager und Wiki-Berater, präsentierte eine fundierte Argumentation für vollständig offene Enterprise Wikis. In seinem Vortrag erläuterte er, warum alle Mitarbeitenden in Organisationen sowohl Lese- als auch Bearbeitungsrechte für das Unternehmens-Wiki haben sollten. Dabei ging er auf die Definition von Wikis ein, stellte die Vorteile offener Systeme dar und entkräftete häufige Bedenken. Der Vortrag mündete in eine lebhafte Diskussion über praktische Erfahrungen und Herausforderungen bei der Implementierung offener Wiki-Kulturen.

Definition und Grundlagen von Wikis

  • Wiki-Definition nach Ward Cunningham
  • Kernmerkmale: Bearbeitung durch alle Nutzer und thematische Verlinkung
  • Umfrage zu genutzten Wiki-Systemen und deren Offenheit

Vorteile offener Enterprise Wikis

  • Niedrigschwelligkeit
  • Einfaches Verlinken
  • Schnellere Aktualisierung
  • Qualitätssteigerung
  • Förderung des Austausches

Häufige Bedenken und deren Entkräftung

  • Ablenkung vom Tagesgeschäft
  • Vandalismus-Sorgen
  • Befürchteter Qualitätsverlust

Sinnvolle Einschränkungen und Leitfragen

  • Unterscheidung zwischen "dürfen" und "brauchen"
  • Sicherheitsrelevante Ausnahmen

Kernaussagen des Vortrags

Wiki-Definition und Grundprinzipien

"Ein Wiki lädt alle BenutzerInnen aus der Community dazu ein, jede Seite zu bearbeiten oder neu zu erstellen", erklärte Harnisch die grundlegende Definition. Im Unternehmenskontext bedeute dies, dass alle Mitarbeitenden als Community der Organisation verstanden werden sollten.

Ein weiteres Kernmerkmal sei die "sinnvolle thematische Verknüpfung zwischen verschiedenen Seiten" durch Verlinkungen, die das assoziative Navigieren ermöglichen. Besonders wichtig seien dabei die sogenannten "Red Links", die anzeigen, "die Seite wurde zwar verlinkt, aber die gibt es noch gar nicht".

Niedrigschwelligkeit als zentraler Vorteil

Der Referent betonte: "Wenn alle alles lesen und bearbeiten können, dann brauche ich nicht irgendwelche Freigaben erst beauftragen". Diese Niedrigschwelligkeit eliminiere Hürden bei der Informationssuche und -teilung.

"Umso mehr Hürden dann dazwischen stehen zwischen meinem Vorhaben, also Informationen zu suchen oder zu teilen und der tatsächlichen Umsetzung, umso höher wird dann auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich es einfach nicht mache", warnte Harnisch vor den Folgen restriktiver Systeme.

Qualitätssteigerung durch Offenheit

Entgegen der häufigen Befürchtung führe Offenheit zu höherer Qualität: "Tatsächlich, wenn auch erst kontraintuitiv, führt eine breite Anzahl an Menschen, die Inhalte bearbeiten kann, nicht dazu, dass mehrere Köche verdämmen den Brei mäßig, sondern es gibt mehr Wissen, mehr Perspektiven, mehr Erfahrungen zu einem Gebiet".

Die Transparenz erhöhe zusätzlich die Sorgfalt: "Dadurch, dass das ja auch transparent ist und man da mit seinem Namen steht, erhöht das in der Regel bei den Menschen die Sorgfalt".

Entkräftung von Vandalismus-Sorgen

Zur häufigen Sorge vor Vandalismus stellte Harnisch klar: "Im Unternehmenskontext passiert sowas eigentlich nie". Der entscheidende Unterschied zur Wikipedia sei, "dass ich da nicht anonym bin. Also ich habe dann einen Namen, da steht Martin Harnisch und es gibt Versionshistorien".

Unterscheidung zwischen "dürfen" und "brauchen"

Bei notwendigen Einschränkungen empfahl der Referent die Leitfrage: "Dürfen die Mitarbeitenden diese Information nicht sehen oder brauchen sie diese Information nicht?" Oft werde verwechselt, dass jemand eine Information nicht brauche, obwohl es eigentlich um Zugriffsberechtigungen gehe.

Kultureller Wandel als Voraussetzung

Das Fazit lautete: "Das ideale Wiki sollte sich auf eine offene, gleichwertige und lernende Organisationskultur stützen und frei von auf Misstrauen basierten Restriktionen sein".

Diskussionsergebnisse und praktische Erfahrungen

Herausforderungen bei der Einführung

Die Diskussion offenbarte, dass die technische Implementierung oft weniger problematisch sei als der kulturelle Wandel. Ein Teilnehmer berichtete: "Wir bringen mal jetzt die Menschen dazu, dieses offene Wiki wirklich zu nutzen [...] Die anderen trauen sich da einfach nicht dran, weil sie Angst haben, was kaputt zu machen".

Bedeutung von Schulungen und Begleitung

Mehrere Teilnehmer betonten die Wichtigkeit von Schulungen und begleiteter Einführung. Eine Teilnehmerin teilte ihre Erfahrung: "Ich habe mir dann einfach selber so einen Leitfaden geschrieben. Was frage ich denn immer?" und entwickelte einen strukturierten Ansatz mit Leitfragen.

Langfristige Perspektive erforderlich

Die Diskussion machte deutlich, dass Wiki-Einführungen Zeit benötigen. Ein Teilnehmer berichtete von 15-jähriger Erfahrung und dem "Ritterschlag" durch externe Prüfungen, die die Qualität und Transparenz des Wikis würdigten.

Alternative Ansätze und Tools

Die Diskussion erweiterte sich auf alternative Tools wie OneNote oder Blogs, wobei betont wurde, dass das Ziel wichtiger sei als das spezifische Tool. Eine Teilnehmerin berichtete: "Ich habe mich damals für einen Blog entschieden, auch nicht für einen Wiki bewusst, weil ich das Blog einfach nochmal dynamischer finde".

Handlungsempfehlungen

Schulung und Kulturentwicklung

  • Umfassende Schulungen für alle Mitarbeitenden durchführen
  • Das Konzept der offenen Bearbeitung explizit erläutern
  • Lernzirkel etablieren für kontinuierlichen Austausch
  • Vorbildfunktion der Führungskräfte sicherstellen

Praktische Umsetzung

  • Leitfäden für die ersten Schritte entwickeln
  • Begleitete Veröffentlichungen anbieten
  • Strukturierte Leitfragen für Inhalte bereitstellen
  • Wiki-Gardening-Teams für Konfliktlösung etablieren

Langfristige Strategie

  • Realistische Zeitplanung für Kulturwandel einkalkulieren
  • Commitment der Führungsebene sicherstellen
  • Regelmäßige Reflexion und Anpassung der Strategie
  • Erfolge sichtbar machen und kommunizieren

Technische Aspekte

  • Benachrichtigungssysteme für Änderungen aktivieren
  • Versionshistorien nutzen für Transparenz
  • Suchfunktionen optimieren
  • Bei Bedarf KI-gestützte Suche implementieren

Der Beitrag und die anschließende Diskussion verdeutlichten, dass erfolgreiche Enterprise Wikis weniger eine technische als vielmehr eine kulturelle Herausforderung darstellen. Die Offenheit für alle Mitarbeitenden erweise sich dabei als entscheidender Erfolgsfaktor für lebendige und qualitativ hochwertige Wissensplattformen.