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Martin Heider - Zukunft der Softwareentwicklung in 2035. Wie erreichen wir Heaven statt Hell

Martin Heider: Zukunft der Softwareentwicklung in 2035. Wie erreichen wir Heaven statt Hell

Wenn ich ChatGPT frage wie SW-Entwicklung in 10 Jahren aussieht, dann sieht das unter anderem so aus: Softwareentwicklung wird zur Dialogarbeit mit intelligenter Unterstützung. Der Mensch definiert Vision, Werte, Ethik und Zweck – KI übernimmt den Rest. Teams werden kleiner, fokussierter, dezentraler – aber durch KI hochskaliert. Wenn heute SW-Systeme zu überarbeiten sind, deren Entwicklungen vor 10 oder mehr Jahren gestartet wurden, dann gleicht das oft dem Öffnen der ersten Pyramiden und der Dechiffrierung von Hieroglyphen. Eine Korrektur erzeugt etliche neue Fehler, was Änderungen nahezu unmöglich macht. Und als Menschen haben wir die Fähigkeit verloren, selbst die Systeme zu verstehen und zu verändern. Was gilt es heute für SW-Entwicklungsteams zu lernen, um uns auf diese prognostizierte Zukunft vorzubereiten und die Dystopie zu vermeiden?

Der Beitrag von Martin Heider beschäftigte sich mit der Zukunft der Softwareentwicklung im Jahr 2035 und untersuchte verschiedene Szenarien zwischen einem "Heaven"- und einem "Hell"-Zustand. Mithilfe einer interaktiven Future-Backwards-Methode diskutierten die Teilnehmer sechs zentrale Entwicklungsbereiche: KI als Co-Entwickler, selbstoptimierende Architekturen, menschliche Teams, experimentelle Entwicklung, neue Arbeitsweisen und notwendige Lernfelder. Der Fokus lag darauf, realistische Einschätzungen für die nächsten zehn Jahre zu entwickeln und Handlungsempfehlungen für heutige Entwicklungsteams abzuleiten.

Die Session folgte einer strukturierten Future-Backwards-Methodik:

  1. Einführung und Kontextualisierung - Vorstellung der Teilnehmer und ihrer Entwicklungshintergründe
  2. Future-Backwards-Methodik - Erläuterung des Ansatzes zur Zukunftsprognose
  3. Sechs Kernbereiche der Zukunftsentwicklung - Interaktive Bewertung verschiedener Szenarien
  4. Beispiel-Arbeitstag 2035 - Konkrete Visualisierung eines zukünftigen Entwickleralltags
  5. Handlungsempfehlungen - Ableitung von Lernfeldern für heutige Teams
  6. Diskussion und Reflexion - Gemeinsame Bewertung der Erkenntnisse

Kernaussage 1: KI als Co-Entwickler wird zum Standard

Die erste zentrale Aussage beschreibt eine fundamentale Veränderung in der Softwareentwicklung: "Künstliche Intelligenz als Co-Entwickler wird zum Standard. Wir haben multimodale Co-Piloten, wir haben Agententeams und Code ist nicht mehr zentral, Intent ist zentral."

Heider prognostiziert, dass Teams in Zukunft ihre Ziele, Regeln und Einschränkungen formulieren werden, während ein System aus KI-Tools und Runtime-Plattformen die Umsetzung übernimmt. Besonders hervorzuheben ist die Entwicklung von Agententeams, die komplexe Aufgaben wie "ein skalierbares Autorisierungssystem für 100 Millionen Nutzern" mit menschlichem Review erstellen können.

Die Teilnehmer bewerteten multimodale Co-Piloten als sehr realistisch, zeigten jedoch bei Agententeams mehr Skepsis. Julia äußerte ethische Bedenken: "Ich fände es nicht ethisch gut, wenn solche Sachen komplett automatisiert, ohne irgendeinen Menschen, der so einen Code auch noch anders übersetzen kann, ablaufen würden."

Kernaussage 2: Selbstoptimierende Architekturen revolutionieren die Systemgestaltung

Der zweite Bereich fokussiert auf "selbstoptimierende Architekturen" mit Composable Systems und Zero Ops. Heider beschreibt eine Zukunft, in der "Infrastruktur, Development, Monitoring, Scaling vollständig autonom interagieren" und wiederverwendbare KI-Komponenten "wie Legosteine zusammengebaut werden" können.

Julia zeigte sich bei diesem Punkt optimistischer: "Da geht es sozusagen um Strukturen und um größere Zusammenhänge zu sehen, um vielleicht auch Komplexität zu reduzieren. Das ist was, wo ich sage, da habe ich weniger Störgefühle, weil es mir da nicht um eine Art von definieren, deuten, irgendwas geht, sondern da geht es irgendwie für mich um Dinge, die meiner Meinung nach total gut zur KI passen."

Heider äußerte jedoch Bedenken bezüglich der praktischen Umsetzung: "Die Architekturen, die heute aufgesetzt werden, sind in erster Linie mit Domain-Driven Architekturen entwickelt worden. Wie können Menschen, die über zig Jahre entwickelt haben, Entscheidungen treffen, ob Refactoring gut ist oder eine Architekturänderung gut ist, wenn sie das gar nicht mehr tun?"

Kernaussage 3: Menschliche Teams werden kleiner, diverser und strategischer

Die dritte Kernaussage beschreibt eine Transformation der Teamstrukturen: "Menschliche Teams werden kleiner, diverser, strategischer" mit drei Hauptcharakteristika:

  • Kleinere hochspezialisierte Kerngruppen
  • Domänen- und Problemorientierung: "Teams sind um Geschäftsprobleme und Nutzerbedürfnisse herum organisiert und nicht mehr um Systeme und Komponenten"
  • KI als Teammitglied

Während die ersten beiden Punkte breite Zustimmung fanden, entstand bei "KI als Teammitglied" eine kontroverse Diskussion. Julia positionierte sich klar dagegen: "Für mich ist es ein Horrorszenario. Ich finde es ganz fürchterlich, wenn wir da wirklich menschliche Personen mit ersetzen wollen."

Sie betonte die Bedeutung menschlicher Wissensweitergabe: "Gerade so diese Rolle von, ich steige irgendwo neu ein. Ich habe tatsächlich vielleicht nur ein Praktikum, aber ich lerne so viel. Wenn das alles nur noch an KI geht, das passiert einmal und nie wieder."

Kernaussage 4: Entwicklung wird experimentell und simulationsbasiert

Der vierte Bereich beschreibt einen Paradigmenwechsel zu experimenteller Entwicklung mit "Digital Twins für Softwarelösungen". Heider erklärt: "Komplette Softwareumgebungen werden in Simulationsräumen getestet, samt Nutzerverhalten, Last und Fehlerfällen."

Diese Entwicklung ermöglicht es, Software in virtuellen Umgebungen zu testen, bevor sie in die Realität überführt wird. Dies könnte die Entwicklungszyklen erheblich verkürzen und die Qualität verbessern.

Kernaussage 5: Der Arbeitsalltag 2035 - Ein neues Entwicklerparadigma

Heider skizzierte einen beispielhaften Arbeitstag eines Entwicklers im Jahr 2035, der folgende Elemente umfasst:

  • Sanfter Start mit Mixed Reality Workspace: KI-Assistenten informieren über nächtliche Entwicklungen
  • Asynchrones Team-Alignment: Automatisierte Daily-Status-Updates
  • Produktexploration mit Fachdomänen: Fokus auf Geschäftsprobleme statt technische Details
  • KI-gesteuertes Development: "Lina übergibt ein Ziel und die KI macht"
  • Fokuszeit und Deep Work: Konzentration auf komplexe Domain-spezifische Logik
  • Outcome Review: Bewertung mit KI und Stakeholdern
  • Reflexion und Lernen: Tagesabschluss mit KI-unterstützter Analyse

Das Fazit dieses Szenarios: "Die KI ist Umsetzer, Simulant, Berater. Der Fokus liegt mehr auf der Wirkung, nicht auf Code."

Kernaussage 6: Das Hell-Szenario - Warnung vor totaler Abhängigkeit

Heider warnte vor einem dystopischen Szenario: "Dass wir eigentlich komplett von der KI abhängig sind. Es ist nicht mehr selber, um wir verändern können und die KI kann es auch nicht. Und wir müssen es aber updaten."

Er betonte die bereits heute sichtbaren Probleme: "Das sehe ich halt heute schon mit Code, der von Menschen geschrieben wird. Und die KI wird dann in deutlich größerer Geschwindigkeit deutlich mehr Code erzeugen. Das heißt, du hast eine Masse, die du gar nicht mehr beherrschen kannst."

Diese Warnung verdeutlicht die Notwendigkeit, auch in einer KI-dominierten Zukunft menschliche Expertise und Verständnis zu bewahren.

Handlungsempfehlungen für Softwareentwicklungsteams

Aus der Diskussion ergaben sich mehrere konkrete Handlungsempfehlungen:

Ethikrichtlinien und Regeln etablieren

Magnus betonte: "Ethikrichtlinien festlegen, Regeln für KI-Nutzung generell abstehen." Teams sollten frühzeitig klare Richtlinien für den Einsatz von KI-Tools entwickeln, um ethische Standards zu gewährleisten.

Wissen unabhängig von KI bewahren

Julia forderte: "Dieses Wissen tatsächlich unabhängig von KI, auch wenn es quasi oldschool ist, aber auch festzuhalten. KI könnte ja vielleicht unterstützen, aber das Wissen darf nicht in KI allein aufgeben."

Diese Empfehlung zielt darauf ab, auch in Zukunft die Fähigkeit zu bewahren, Systeme ohne KI-Unterstützung zu verstehen und zu warten.

Datenschutz bei KI-Nutzung beachten

Magnus wies auf praktische Herausforderungen hin: "Code zu sharen mit einer KI, wo Kundenbezug drin ist, da gibt es richtig, was auch nicht so eindeutig ist. Okay, was kannst du wirklich halt mit dem kannst du dir helfen lassen, so eine Art lokale KI wäre tatsächlich auch eine Idee."

Frühzeitige Auseinandersetzung mit KI-Tools

Heider hob hervor: "Das ist in der Entwicklung recht nahe, dadurch, dass Co-Pilot oder andere Assistenten nutzbar sind. Das heißt, die Entwickler sind frühzeitig damit konfrontiert."

Teams sollten diese frühe Konfrontation nutzen, um Erfahrungen zu sammeln und Best Practices zu entwickeln.

Diskussion über gewünschte Zukunftsszenarien führen

Eine zentrale Empfehlung war die Notwendigkeit teaminterner Diskussionen: "Eine Diskussion über einen gewünschten Heaven und Hell zu führen. Julias Hell, glaube ich, schaut anders aus wie meine."

Diese Diskussionen helfen Teams dabei, gemeinsame Visionen zu entwickeln und potenzielle Risiken frühzeitig zu identifizieren.

Kontinuierliche Weiterbildung und Anpassung

Die Teilnehmer betonten die Wichtigkeit kontinuierlichen Lernens und der Bereitschaft zur Anpassung an neue Technologien und Arbeitsweisen.

Der Beitrag verdeutlichte, dass die Zukunft der Softwareentwicklung sowohl große Chancen als auch erhebliche Risiken birgt. Die Schlüssel zum Erfolg liegen in der bewussten Gestaltung dieser Transformation, der Bewahrung menschlicher Expertise und der ethischen Verantwortung im Umgang mit KI-Technologien.